Drehbuch: Dawid Budjonny und Wjatscheslaw Rudnizki erinnern sich:
Die Akte Kommunistische Jugendpartei – KPM

Dawid Alexandrowitsch Budjonny (1930-2010) war Mitglied der illegalen Jugendorganisation KPM (Kommunistische Jugendpartei). Er wurde verhaftet und zu 5 Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt, die er in Dscheskasgan (Kasachstan) verbrachte. Rehabilitiert.

Wjatscheslaw Mitrofanowitsch Rudnizki wurde 1930 geboren. Mit 17 Jahren trat er der Kommunistischen Jugendpartei bei und leitete die Sonderabteilung. Er wurde verhaftet und zu 10 Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt, die er in Dscheskasgan (Kasachstan) verbrachte. Er wurde rehabilitiert und lebt in Woronesch.

Die Gründung der KPM

Budjonny: Das war noch in der Schule, 1945, also in meiner Jugend oder etwas später, da kam eine Unzufriedenheit auf, die zur Überzeugung führte, dass mit unserer Realität etwas nicht stimmte.
Ich begriff, dass das nicht nur Unzulänglichkeiten, die Bürokratie einiger Angestellter oder Einzelfälle waren, sondern dass das System schuld daran war. Das kommunistische Regime, das nach meiner festen Überzeugung Utopie und Verbrechen ist.

Rudnizki: Das wichtigste war die Ideologie. Ich glaube nicht, dass ich klug oder dumm oder alt bin, aber mit meinen 17 Jahren meinte ich damals, dass es für Stalin an der Zeit war abzutreten.

Budjonny: Im Frühjahr 1949 waren meine Klassenkameraden bei mir zu Besuch. Ich kann sie namentlich aufzählen, alle waren in der KPM: Podmolodin, Mironow und Schirokoschuchow.
“Und, was hältst du von einer Organisation, die für eine bessere Zukunft und die Bekämpfung von Mängeln und Fehlern steht?”

Rudnizki: “Wir wollen eine Organisation gründen. Was glaubst du, erfüllt dich deine Tätigkeit als Komsomolze, die du in der Schule durchführst?” Ich antworte: “Nein, ich brauche etwas handfesteres.” “Und was soll das sein? Schau, wir wollen eine Alternative zum Komsomol schaffen, vielleicht sogar die Partei ersetzen und einen Neuanfang wagen.”

Budjonny: Kurz darauf lernte ich die Leitung der Organisation kennen. Sie nannte sich KPM als Abkürzung für Kommunistische Jugendpartei. Nun, ich war mir über meinen Beitritt schnell im Klaren.
Die Mitglieder der KPM waren ganz gemischt. Aber alle einte die Unzufriedenheit mit der Situation. Einige entrüstete die schwere, sogar bedrückende Lage der Kolchosbauern. Diese war wirklich schwer, weil man für seine Arbeitsleistung fast nicht rausbekam. Und andere, z.B. solche wie ich, waren mit der Sowjetmacht und dem Kolchosesystem im allgemeinen unzufrieden. Ich weiß nicht, warum. Ich habe ihnen doch erzählt, dass die Berichte unserer Soldaten, die aus dem Ausland heimkehrten und erzählten, wie man dort lebte, mich sehr beeindruckten.
Unsere KPM teilte sich nach allen Regeln der Konspiration auf Fünfergruppen auf. An deren Spitze stand ein Leiter, und nur er hatte Kontakt zur Führung. Die anderen vier kannten außer ihrem Gruppenleiter niemanden.

Rudnizki:Wir trafen uns jeden Freitag oder Samstag.
W. R.: Ich war Leiter einer Fünfergruppe.
I. O.: Und wie nannten Sie sich?
W. R. Gruppenorganisator.

Budjonny: Strengste Geheimhaltung war eine Bedingung. Niemand durfte von unserer Organisation erfahren. Sollte man sich mal verplappern oder sogar bewußt Verrat begehen, hatte man die Höchststrafe verdient.
I. O.: Und das war?
D. B.: Tod! Auf Verrat stand der Tod!

Rudnizki: Wir dachten: ‘Je mehr wir sind, umso schwieriger sind wir zu fassen. Den Behörden wird das zu heikel. Lasst uns schnell neue Mitglieder gewinnen. Ich habe mehrere Mädchen geworben. Gott sei Dank, kam keine von ihnen ins Gefängnis.

Budjonny: Im Sommer 1949 fuhr ich nach Minsk, um am Juristischen Institut zu studieren. Der Kontakt zu den Genossen der KPM ging verloren. Doch ich erhielt die Aufgabe, neue Mitglieder für unsere Organisation zu gewinnen.

Rudnizki: Die Idee war einfach: Uniabsolventen würden Leitungsfunktionen übernehmen und somit an die Macht kommen. Und so würden allmählich alle unsere Leute – alles ehrliche und dem Vaterland ergebene Leute –die Zügel übernehmen. Und die Alten würden wir loswerden. Nicht davonjagen… sie würden von allein gehen. Was bliebe ihnen anderes übrig?

Verhaftung

Budjonny: Im Januar 1950 fuhr ich in den Ferien nach Woronesch. Als erstes machte mich ein Satz meiner Mutter stutzig: “Einige von deinen Schulfreunde werden vermisst.” Ich beachtete das zunächst nicht, aber konnte es auch nicht vergessen. Ich wusste nicht, dass bereits im September 1949 viele KPM-Mitglieder in Woronesh verhaftet worden waren. Später waren die dran, die außerhalb von Woronesch lebten.

Rudnizki: Die KPM ist eine trotzkistische Organisation. So wurde es dem Sonderausschuss in Moskau dargestellt. Und deshalb schrieb sogar Stalin über sie. Nun heißt es, dass ein Vertreter Moskaus hier war und an Stalin über die Oranisation berichtete. Angeblich hat Stalin eigenhändig geschrieben: Batujew, Lutkow und Rudnizki sind zu verhaften.

Budjonny: Am Morgen des 2. Februar klopfte ein unansehnlicher Mann in Zivil an unsere Tür. Er ging auf mich zu und flüsterte mir zu: “Dawid Alexandrowitsch, los geht’s, die Beine vertreten.” Auch da verstand ich noch nicht ganz. Aber der Schrecken saß tief. Mama verstand und war sehr aufgeregt: “Wohin bringt ihr ihn?” Er:”Keine Sorge, Nadeschda Michailowna.” Er kannte Mutters Vor- und Vatersnamen. “In 20 bis 30 Minuten kommt er wieder zurück. Nehmen Sie nur Ihren Ausweis mit.” Diese 20 bis 30 Minuten… Draußen um die Ecke stand schon ein Militärjeep. Ich musste Platz nehmen und ab ging es zur Wolodarskistraße, wo sich die Verwaltung für Inneres war. Dort, im Kellergeschoss dieser Verwaltung befand sich ein Gefängnis.

Ermittlungsverfahren

Rudnizki: Beim KGB gibt es kein leichtes Verhör. Insbesondere, wenn sie schon einen Plan haben, den die durchziehen. Da kann man nichts machen. Ich habe mich 11 Monate gewehrt und dann legten sie mir etwas vor und sagten: “Hier steht’s geschrieben.” Ich empfehle niemandem, sich mit dem KGB anzulegen.
Was sie machten? Sie sammelten und pickten sich aus dem Bekanntenkreis die Mitglieder. Wie? “Sag, wer ist dein Freund?” Nun, ich nannte einen Freund. Aber jeder war mein Freund, die ganze Klasse war mein “Freund”, ich hatte keine Feinde. Danach wählten sie aus und sagen: “Batujew hat 32 Personen genannt, Rudnizki hat 19 genannt.” Ich habe alle aufgezählt, es gab kein Entrinnen.
“Den hast du nicht genannt, aha, also gehört er zur Organisation.” Und wenn man nichts verheimlicht, dann hat man am Ende doch verheimlicht.

Budjonny: In den ersten Wochen gab es endlose nächtliche Verhöre. Tagsüber durfte man sich keinesfalls hinlegen. Nur auf dem Stuhl durfte man sitzen. Man sehnt das Signal zur Nachtruhe herbei wie himmlisches Manna. Stellen Sie sich mal vor, sie müssten 24 Stunden lang sitzen. Es gab keine Bücher, keine Zeitungen, nichts. Nur die eigenen Gedanken. Woran ich dachte? Ich habe schon beim ersten Verhör begriffen, dass die KPM aufgeflogen war und man viele verhaftet hatte.
Wahrscheinlich war damals schon alles über unsere Organisation und ihre Ziele bekannt. Die Ermittlungen konzentrierten sich darauf, Beweise für einen bestimmten Paragraphen zu sammeln. Unser Paragraph 58-10 und 11 lautete auf anitsowjetische Agitation. Und als Agitation galt jede Kritik am ärmlichen Leben, an ausstehenden Lohnzahlungen in Kolchosen oder einseitiger Berichterstattung. All das galt als antisowjetische Agitation. Und dafür sammelten sie Beweise.
Die wichtigste Frage, an die ich mich erinnere, war: “Wollten Sie gewaltsam die Macht ergreifen?” Ich antworte: “Kategorisch nein.”

Verurteilung

Rudnizki: Wir dachten, es gäbe ein Gerichtsverfahren, in dem wir sagen würden, dass das, was die Untersuchungsführer aufgeschrieben hatten, gelogen war. Zugegeben, ich wußte bis dato nicht, dass es eine Sonderkommission gab.

Budjonny: Wir warteten alle auf das Gerichtsverfahren. Ich bereitete Verteidigungsreden vor, dass wir unschuldig waren und nur einige bürokratische Mängel verbessern wollten.
Die Ermittlungen dauerten fast ein Jahr und in meinem Fall ein halbes Jahr. Mein Urteil war vergleichsweise milde. Damals gab es fünf Jahre für den Paragraphen 58.

Rudnizki: An einem heißen 20. Juli wurde ich zum Gefängnisdirektor gerufen. Er empfing mich im weißen Anzug: “Ich vertrete die Sonderkommission. Hier ist Ihr Urteil: 10 Jahre. Unterschreiben Sie. Sie dürfen nach Hause schreiben und um warme Kleidung bitten, weil Ihre Haft lange dauern wird.” Das war’s, danach ging mein Gefangenentransport los.

Budjonny: Mein Gefangenentransport landete im Lager Dscheskasgan. Wir waren dort fünf KPM-Mitglieder. Viele lernte ich erst dort kennen.

Drehbuch:
Aljona Koslowa, Irina Ostrowskaja (MEMORIAL – Moskau)

Kamera:
Andrej Kupawski (Moskau)

Schnitt:
Sebastian Priess (MEMORIAL – Berlin)
Jörg Sander (Sander Websites – Berlin)

Übersetzung/Untertitelung:
Irina Raschendörfer (MEMORIAL – Berlin)

© MEMORIAL International 2011

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