Drehbuch: „So etwas kann man Stalin nicht verzeihen!“ Russlanddeutsche in der Arbeitsarmee

Am 28. August 1941 begann auf Grund eines Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR die vollständige Deportation der in der UdSSR lebenden Deutschen. Insgesamt wurde in den Kriegsjahren ungefähr eine Million Menschen umgesiedelt. Anfang 1942 wurden Männer, Frauen und Jugendliche in Arbeitskolonnen mobilisiert, die als „Arbeitsarmeen“ bezeichnet wurde. 1948 wurden alle in den Kriegsjahren ausgesiedelten Deutschen zu ewiger Verbannung verurteilt. Auf Flucht vom Ort der Zwangsansiedlung stand 20jährige Katorga. Die Einschränkungen für die Deutschen, die sich in Sondersiedlungen befanden, wurden im Dezember 1955 aufgehoben. .

Jakow Iwanowitsch German wurde 1926 im Gebiet Lugansk geboren. 1941 wurden sein Vater und zwei seiner Brüder zur Arbeitsarmee mobilisiert, und er wurde mit seiner Mutter und dem jüngsten Bruder nach Kasachstan deportiert. 1942 wurde Jakow zur Arbeitsarmee mobilisiert. Er lebt in Polewskaja im Gebiet Swerdlowsk.
Andrei Petrowitsch Kesler wurde 1924 im Gebiet Omsk geboren. 1942 wurde er mit seiner Mutter und zwei Brüdern zur Arbeitsarmee mobilisiert. Er lebt in Polewskaja im Gebiet Swerdlowsk.
Florentina Iosifowna Losina (geb. Rudkowskaja) wurde 1932 im Gebiet Rostow geboren. 1941 wurde ihr Vater zur Arbeitsarmee mobilisiert, und ihre Mutter wurde mit den kleinen Kindern nach Usbekistan deportiert. Sie lebt in der Region Krasnodar in Kropotkin.
Iwan Iwanowitsch Schmidt wurde 1922 im Gebiet Odessa geboren. Im Sommer 1941 wurde er kurzfristig zur Armee einberufen und nach Kriegsbeginn zur Arbeitsarmee mobilisiert. Nachdem er wegen Krankheit einen Arbeitstag versäumt hatte, wurde er angeklagt, sich der Wehrpflicht entzogen zu haben, und zu drei Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt, die er in Workuta verbüßte. Nach der Haftentlassung wurde er zur Verbannung ins Gebiet Komi verurteilt. Er lebt in Petschora in der Republik Komi.

Jakow German

Nun, und dann begann der Krieg. An den ersten Kriegstagen schien nichts zu passieren. Nach etwa zwei Wochen kam wieder der NKWD, sie verhafteten 43 Männer. Wohin sie kamen, wissen wir nicht. Anscheinend nach Karaganda in ein Lager. In ein Lager in Karaganda. 32 Personen. Am 3. September holten sie alle übrigen Männer in die Arbeitsarmee, von 16 bis 60 Jahren, alle.

Andrei Kesler
Niemand hat sich etwas gedacht, niemand konnte das wissen. Das waren erwachsene Leute. Man hörte, dass geredet wurde: „Deutsche kämpfen nicht gegen Deutsche.“ Solche Reden gab es. Sie rechneten nicht damit, dass man sie an die Front einberufen würde. Sie wussten, dass man sie nicht an die Front schicken würde, Deutsche sind Deutsche.

Florentina Losina
Im September ging es los. Sie verschickten uns. Sie kamen und sagten, alle sollten sich innerhalb von 24 Stunden fertig machen, bis dahin sollten wir alle bereit sein. Wir waren drei Dörfer. Man sagte: „Wo man Euch hinschickt, geben sie euch alles, dort ist alles vorbereitet“. Sie brachten uns nach Rostow, 20 Kilometer von dort, Tarasowka in Rostow, das war da in der Nähe. Bis nach Rostow. „Und in Rostow werdet ihr in den Zug gesetzt, und von dort wird man euch alle wegbringen“. Sie setzten uns in einen Waggon. Es war heiß. Überall waren Läuse. Alle möglichen Krankheiten traten auf. Im Zug waren wir etwa anderthalb Monate unterwegs. Man schickte uns nach Usbekistan und Kasachstan. Dorthin fuhren wir, das war natürlich ein weiter Weg. Kein Wasser, nichts zu trinken, nichts gab es. Massiver Hunger setzte ein. Dort begann das schon.

Andrei Kesler
Im Februar 42 wurde ich mobilisiert und in den Ural geschickt. Das geschah auf Anweisung dieses Dschugaschwili, dass alle deutschen Männer und Frauen in Arbeitskolonnen zu mobilisieren seien. „Alle deutschen Männer und Frauen sind für die Kriegszeit in Arbeitskolonnen zu mobilisieren“. „Für die Kriegszeit“ ist unterstrichen.

Jakow German
Ich kam, und meine Mutter sagte: „Das war’s, wir werden verschickt“. Ich: „Wie verschickt?“ „So, man verschickt uns. Um das Dorf ist von Männern in blauen, dunkelblauen Uniformmänteln aufgezogen. Ein Offizier ist gekommen und hat gesagt: ‚Sie haben zwei Tage zum Packen, mehr nicht, und höchstens 50 Kilogramm pro Person.‘“ Aber was kann man schon in 50 Kilogramm mitnehmen? „Verpflegung, nehmen Sie unbedingt Verpflegung mit, für mindestens einen Monat“. Unsere ehemalige Lehrerin, sie hat bei uns als Lehrerin gearbeitet und kannte mich von klein auf, sagte: „Jascha, warum holst Du dir nicht deinen Einberufungsbefehl?“ „Was für einen Einberufungsbefehl?“ „Du kommst in die Arbeitsarmee, morgen geht es los“. Und ich, ich hatte weder Kleidung noch Brot, nichts. Aber was sollte ich machen? Ich ging nach Hause: „Mama, so und so“. Morgen. Das war am 22., und am 23. war der Termin. Mama nahm ein paar Beutel und nähte mir daraus Wattehosen. Aus Säcken, aus Sackleinen nähte sie Wattehosen, weil ich nichts anzuziehen hatte. Sie holten uns um 12 Uhr nachts. Sie stellten alle auf. Es waren etwa zwei Kilometer von der Station bis zu dieser Siedlung beim Sägewerk. Dort brachte man uns im Klubhaus unter, jeder lag wie er konnte, irgendwo auf dem Boden, so wie es eben ging, alle lagen ganz dicht beieinander, wie die Ferkel.

Iwan Schmidt
1941 im Mai wurde ich zur Armee einberufen. Und da, als der Krieg anfing, kamen wir in ein Baubataillon. Ich kam ins Baubataillon. Man schickte uns in die Nähe von Dnepropetrowsk. Damals war Kiew schon gefallen, und die Deutschen kamen schon heran, und uns schickte man dorthin.
Ich habe diesen Zug nicht erreicht, habe ihn verpasst und bin weggegangen. Als der Waggon weg war, ging ich zur Kommandantur: „Soldat XY, ich habe den Zug verpasst“. „Und wohin sollte es gehen?“ „Ich weiß nicht. Was soll ich tun?“ Er stellte mir ein Papier aus, dass ich zurückgeblieben war, und sagte: „Geh zu deiner Einheit, dahin, wo deine Einheit steht“. Ich kam dorthin, da standen zwei Wachsoldaten mit Gewehren. Mich ließ man nicht hinein. Ich sagte: „So und so“. „Komm bloß nicht zu nahe!“ Plötzlich kam ein Militär mit zwei Rechtecken auf den Kragenspiegeln vorbei. Die trug man damals. Ich sagte ihm: „Soundso“. Er brachte mich zum politischen Leiter. Und – du liebe Güte! Ich wäre besser nicht … „Du bist mit Absicht zurück geblieben? Du willst auf die andere Seite der Front? Du bist abgehauen!“ Und er ging auf mich los. Was sollte ich ihm sagen, wie mich verteidigen, was ihm sagen? Er steht mir gegenüber, sitzt mir gegenüber, ich auf der anderen Seite. Plötzlich steht er auf, den Revolver an einem Gummigriff, einem schwarzen, und mir damit an den Dez, bums! Und zwei Soldaten kommen dazu, packen mich, ziehen mir Gürtel und Uniformmantel aus, und ab ins Kittchen.

Andrei Kesler
Wohin sie uns brachten, wussten wir nicht, niemand außer dieser Wachmannschaft, die uns begleitete, wusste das. Sie waren in Militäruniform. Zu der Zeit konnte ich nicht unterscheiden, ob jemand von der Miliz, vom NKWD oder ob er Soldat war. Alle trugen Militäruniformen. Mit Kragenspiegeln, das war alles. Naja, und sie brachten uns nach Swerdlowsk.
Sie ließen uns aussteigen und stellten uns in Viererreihen auf. Damals lag aber hoher Schnee, wir konnten also nicht zu viert in einer Reihe gehen, wir gingen nur zu zweit. Die Kolonne zog sich in die Länge. Es war eine sehr lange Kolonne, wahrscheinlich einen Kilometer lang, ins 14. Lager. Wir gingen ins Lager, die Tore öffneten sich, da stand „14. LTP“, nein, eher ITL, „14. ITL“ – Besserungsarbeitslager.

Jakow German
Sie gaben uns 800 Gramm Brot und zweimal am Tag Balanda, diese beiden Male waren morgens und zu Mittag. Abends bekamen wir überhaupt nichts zu Essen. Wenn man die Norm zu 100 Prozent erfüllte, bekam man 800 Gramm Brot, wenn nicht, sondern nur zu 75 Prozent, dann gab es 600 Gramm Brot, und wenn noch weniger, dann 50 Gramm Brot, und wer einmal die Norm nicht erfüllt hatte, konnte sie nie mehr erfüllen, weil er dann nur noch 50 Gramm Brot und zweimal diese Balanda bekommt, und das war‘s. Wie soll er dann am nächsten Tag die Norm erfüllen. Ein solcher Mensch war schon verloren.

Andrei Kesler
Wir liefen in Unterwäsche herum. Die Kleidung hielt nicht lang, sie ging schnell kaputt. Naja, und so gaben sie dann, verstehen Sie, Unterwäsche aus, die schon gebraucht war. Man befestigte sie mit Schnüren. Eben , wie Gefangene. So liefen wir rum. Als Schuhwerk gaben sie uns „Tschuni“, eine Art Galoschen. Was ist das? Die sind aus Autoreifen, aber die waren damals nicht so wie heute. Selbst die Reifen bei einem Halbtonner waren sehr dünn. Die Schuster nähten sie so zusammen, und von oben schnitten sie ein Loch hinein. Und Fußlappen, Socken – wenn jemand welche hatte, war es gut, wenn nicht, dann trug man sie eben an bloßen Füßen. Nur damit kein Stein den Fuß verletzen konnte. Diese Galoschen gab man uns. Und dann, schon zum Herbst, gab man uns Halbstiefel – „Bachily“. Die sind wie wattierte Hosen, an denen unten ebenfalls Sohlen aus Autoreifen angenäht waren. Sie waren auch nur mit sehr dünner Watte vernäht. Wir liefen also in diesen Halbstiefeln. Das war schon die Winterbekleidung.
Wenn man einen Zementsack findet, es gibt sechs-sieben Schichten in einem Zementsack. Den nimmt man und umwickelt damit diese Halbstiefel, diese Bachily, damit der Wind nicht durchbläst. Sonst zieht es da durch. Es zog durch. Das tat man, damit es wärmer war. Das war’s. So verliefen vier Winter. Oder fünf? Ja, fünf Winter haben wir so überstanden.
A. K.: Bei den Arbeitsjacken waren die Ärmel halb schwarz, halb weiß. Oder umgekehrt. Da weiß, hier schwarz. Das war so eine Art Uniform, damit sie gleich sahen, dass jemand zur Arbeitsarmee gehörte oder ein Gefangener war.
I. O.: Ich verstehe nicht. Heißt das, die Ärmel hatten verschiedene Farben?
A. K.: Ganz richtig. Ganz richtig. Halb und halb. Der Ärmel war zur Hälfte schwarz, zur Hälfte weiß, halb dunkelblau oder grau. So.
I. O.: Das heißt, es mussten nicht bestimmte Farben sein, aber auf jeden Fall verschiedene?
A. K.: Ja, unbedingt verschiedene. Dann erkannte man sofort, wenn jemand geflohen war. Jeder x-beliebige Soldat konnte einen in den Knast bringen.

Jakow German
Jeder von uns hatte eine Marke, jeden Tag gaben sie uns eine Marke. Bei 100 % bekam man die volle Ration, bei 70 % 600 Gramm ohne Nachschlag, nur Suppe. Und die Suppe war aus gefrorenem Kohl, gefrorenen Kartoffeln. Dunkelblau, vielleicht versucht jemand ein Körnchen zu erwischen, findet aber keines. Und diese Bauern, diese Meister und Brigadiere, die waren ja auch Verbannte, nur verschickte Kulaken. Sie hatten Mitleid mit uns. Aber was konnten sie tun?

Iwan Schmidt
Am 7. März brachten sie uns nach Workuta. Der Schnee war zwei Meter hoch! Wir räumten ihn mit der Hand. Dann markierten sie mit Löchern einen Pfad, legten Bretter aus. Man teilte uns gleich in Brigaden ein, und am zweiten Tag brachten sie in demselben Waggon Gefangene. Sie fragten: „Petrow, wie viel hast du?“ „Fünf“ „Wie viel hast du abgesessen?“ „Nichts“. „Gehst du in die Armee? Ja!“ Und da, vor den Waggons hatten sie so einen kreuzförmigen Tisch aufgestellt und oben – Propaganda-Material. Dann ging es nach der Liste – Sidorow, Petrow. Da waren Leute, die 20-25 Jahre Haftstrafe hatten und 5 – also 25 und 5 Jahre Entzug der Bürgerrechte. Verstehen Sie? Also diese waren von uns getrennt. Und uns – wir nahmen unsere Sachen, und man brachte uns zum Schacht. Man trieb uns zu den Gefangenen in die Zone. Da war eine Baracke extra für uns frei gemacht worden. Der Schacht hieß „Rudnik“, es war der achte Schacht. Der erste war noch in Workuta. Dieser war der achte, Rudnik. Die ersten beiden Tage, das war Einweisung, Schulung, Instruktion. Am dritten ging es in den Schacht. Ich kam in den fünften, den fünften südlichen Streb. Nun los, zum Abbau.

Jakow German
Nun, wir waren dumm, wir begriffen nicht, dass man uns für Volksfeinde hielt. Verstehen Sie? Wir gingen ins Wehrkommando, um uns zur Front zu melden. Wir begaben uns zu Pferd ins Wehrkommando. „Ach, warten Sie, man wird gleich mit Ihnen sprechen“. Wir saßen und warteten, da kamen vier NKWD-Leute und nahmen uns fest. „Sie wollen zu den Faschisten überlaufen?“ Nun seht zu. „Wir werden euch an die Wand stellen und erschießen!“ Für uns war es leichter, an die Front zu gehen, als vor Hunger zu krepieren. Und da war ich nun. Naja, und sie gaben… Dann holten sie den Direktor der Sowchose und einigten sich irgendwie. Sie gaben jedem von uns zehn Tage Arrest. Strengen Arrest.

Iwan Schmidt
Nun, nach einem Monat war ich ziemlich am Ende. Ich ging zu einem Arzt, der Arzt verordnete schon mal jemandem drei oder vier Tage Stärkung. Sie teilen sofort eine weitere Schüssel zu. Ich komme zum Arzt: „So und so. Ich kann nicht mehr absteigen.“ Und bis heute kann ich diese Worte im Leben nicht vergessen: „Durchschnittlicher Ernährungszustand. Geh arbeiten.“ Und ich war schon… Da musste man 98 Stufen absteigen. Es war ein geneigter Schacht. Daneben wurden die Loren mit der Kohle nach oben geholt. Und hier waren es etwas über 900 Stufen nach unten. Man musste hinunter und wieder rauf. Arbeite 12 Stunden und steige dann auf. Ich bin auf den Stufen hingefallen. Dann haben mich Kameraden, die nach mir kamen, aufgehoben. Sie brachten mich nach oben. Und ich ging den zweiten Tag wieder nicht zur Arbeit, und nachts, in dieser Nacht, kamen zwei Milizionäre und brachten elf Leute von unserer Baracke ins Gefängnis.
Mich warfen sie auf eine Pritsche. Einen Neuankömmling stößt man in die Ecke – halt den Mund, gib keinen Ton von dir. Und dann fing es an. Dort schleppten sie einen nachts zu diesem – zum Untersuchungsrichter. Und mir gaben sie den Artikel 59-6 – „Verweigerung des Militärdienstes zu Kriegszeiten, Sabotage.“ Nach einer Woche luden sie mich erneut vor: „Die Sonderabteilung hat drei Jahre bestätigt, Berufung kann nicht eingelegt werden.

Andrei Kesler
Sie trieben uns alle ins Lager, ins ITL (Besserungsarbeitslager) Nr. 14. Sie errichteten eine Tribüne. Und da standen alle Lagerkommandanten, alle. Und dieser Mironow – den vergesse ich bis heute nicht. Er trug so einen, wissen Sie, wie früher, einen Ledermantel, nicht braun, sondern beige. Er stand da in diesem Ledermantel und sagte: „Seht her, Fritzen!“
Und er zog eine Pistole – einen Revolver. Damals gab es keine Pistolen, er zog einen Revolver heraus. „Wenn jemand eine Flucht unternimmt, werde ich eigenhändig schießen!“
Die Baracke war eingerichtet. Da gab es dreistöckige Pritschen. Wir schliefen am Rand. Nun, wir hatten auch zweistöckige. Aber in der Mitte waren alle dreistöckig, und an den Rändern zweistöckig. So schliefen wir auf zweistöckigen. Er lag am Rand und ich neben der Wand auch am Eingang, ich lag an der Wand.
Wir lagen auf den bloßen Pritschen, Betten gab es ja nicht. Wenn man eine Wattejacke hat, kann man sich drauf legen, den Kopf drauf legen, oder man deckt sich mit der Wattejacke zu. Aber man musste sich nicht zudecken. Warum nicht – um acht Uhr abends war da eine solche Hitze, dass es schon unerträglich war.

Iwan Schmidt
Mich schickte man nach Ajatsch-Jaga. Das ist der Schacht Ajatsch-Jaga. Der ist etwa 15 Kilometer von Workuta entfernt, wahrscheinlich. Da war ich bis zum Herbst beim Häuserbau eingesetzt, wir bauten Baracken. Uns führten Begleitmannschaften – „Ein Schritt nach rechts, ein Schritt nach links gilt als Fluchtversuch, es wird geschossen!“ Sie führen uns morgens raus und erklären sofort: „Dass niemand irgendwohin…!“ Und so ging es zur Arbeit. Dort bei der Arbeit waren Wachleute mit Hund.

Jakow German
Nun, dann endete der Krieg. Wir haben auf dieses Kriegsende wie sonst was gewartet. Wir dachten, nach dem Krieg würden wir doch freie Menschen. Der Krieg endete am 9. Mai, und am 10. Juni kam ein NKWD-Mann: „Unterschreibe hier den Bescheid über lebenslange Ansiedlung“. Was tun? Ich unterschrieb. Da stand, dass auf Flucht 20 Jahre Haft standen. Ohne Erlaubnis des Kommandanten hatte man nicht das Recht, den Bezirk zu verlassen. So war das. So lebte ich.

Andrei Kesler
Sie trieben uns in den Bauklub. Von beiden Seiten waren Tische aufgestellt. Wir kamen hin, da war so ein großes Blatt – das war die Regierungsverordnung. Wir lasen sie vollständig durch. Im Klub gab es vierhundert Sitzplätze, die übrigen lasen das im Stehen. Wenn einer von hier zu fliehen versucht, wird das mit zwanzig Jahren Katorga-Arbeit geahndet. Zwanzig Jahre Katorga-Arbeit. Beim Hinausgehen musste man auf der Rückseite unterschreiben, dass man das verstanden hat.
Da war eine Baracke, da saßen die Untersuchungsrichter und der Kommandant. Man kam und meldete, dass alles in Ordnung war. Aber wenn man sich etwa vom Arbeitsplatz oder Wohnort sieben Kilometer entfernt hatte und sie einen da entdeckten, nehmen wir an, dass ich sieben Kilometer weggegangen bin, dann galt das als Flucht, als wollte man fliehen. Mehr als sieben Kilometer durfte man sich nicht entfernen. Wenn Leute Pilze sammeln wollten, dann mussten sie zum Kommandanten gehen und um Erlaubnis bitten, Pilze zu sammeln.
„Sie sind mobilisiert“. So hieß das. Das habe ich mehrfach gehört. „Sie sind mobilisiert. Sie sind verpflichtet, da zu arbeiten, wo wir sie hinschicken.“
Nichts gab es. Keinen Pass, nichts, keinerlei Dokumente. Wir waren ein Sonderkontingent für ewige Ansiedlung.

Jakow German
Als Chruschtschow an die Macht kam und Stalin entlarvte, verstand ich, dass es anders, dass es besser würde. Nun, und 1957 haben sie uns entlassen, aber eine vollständige Rehabilitierung haben wir bis heute nicht erhalten. Dabei ist inzwischen bewiesen, dass unter den sowjetischen Deutschen nicht ein einziger Verräter war, dass die sowjetischen Deutschen die zuverlässigsten Leute der Sowjetmacht waren. Dennoch, man hat uns weder unsere Häuser noch unsere Heimat noch unser Land zurückgegeben, nichts. Bis heute nicht, und das hat auch niemand vor.
Wie kann man Stalin so etwas verzeihen? So etwas zu verzeihen ist unmöglich. ….

Drehbuch:
Aljona Koslowa, Irina Ostrowskaja (MEMORIAL – Moskau)

Kamera:
Andrei Kupawski; Wiktor Griberman; Sergei Missarow

Schnitt:
Sebastian Priess (MEMORIAL – Berlin)
Jörg Sander (Sander Websites – Berlin)

Übersetzung/Untertitelung:
Vera Ammer (MEMORIAL – Euskirchen)

© MEMORIAL International 2012

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