Drehbuch: In den Bergwerken von Workuta, in den Minen von Kolyma.
Arbeit in den Lagern

In allen Betrieben der UdSSR hingen Plakate mit den Worten Stalins: “Arbeit in der Sowjetunion ist eine Sache der Ehre, des Ruhms, der Tapferkeit und des Heldentums!” Den Zynismus dieser Worte spürten in voller Härte die Häftlinge der stalinistischen Lager, deren Arbeit in Folter und unendliche Erniedrigung umgewandelt wurde. Davon erzählen sie hier.

Jelena Markowa wurde 1923 in Kiew geboren. Ihre Eltern wurden 1937 verhaftet. 1941–1943 befand sie sich im besetzten Gebiet. Nach der Befreiung durch die Sowjetarmee wurde sie vom NKWD verhaftet. 10 Jahre war sie im Lager von Workuta inhaftiert.
Michail Tamarin. 1912 geboren, Student. 1937 in Moskau verhaftet, bis 1942 war er in Lagern an der Kolyma. Wieder wurde er festgenommen und zu lebenslanger Verbannung in die Region Krasnojarsk verurteilt.
Witautas Kasjulenis wurde 1930 geboren. 1947 wurde er zusammen mit seinen Eltern aus Litauen in das Gebiet Tjumen verbannt. Er trat der Organisation “Schwur in der Verbannung” bei. 1951 wurde er verhaftet und zum Tod durch Erschießen verurteilt. Die Todesstrafe wurde in 25 Jahre Lagerhaft umgewandelt. 1953 Teilnahme am Norilsker Lageraufstand. 1954 Überführung in ein Lager an der Kolyma. 1958 aus der Lagerhaft entlassen.
Juri Fidelgolz 1927 geboren. Student der Theaterhochschule. Wurde 1948 verhaftet und der Bildung einer antisowjetischen Organisation beschuldigt. Er wurde zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilt. 1950-1954 befand er sich in Lagern an der Kolyma.
Algerdas Untanas 1929 geboren. 1951 Verhaftung wegen seiner Kontakte zu Litauer Partisanen. Verurteilung zu 25 Jahren Haft. 1953 Teilnahme am Norilsker Lageraufstand. Verlegung in ein Lager an der Kolyma. 1956 aus dem Lager entlassen.
Jelena-Lidija Posnik 1924 geboren. 1942 befand sie sich im besetzten Gebiet. 1945 verhaftet und zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. 1949-1954 befand sie sich in Lagern an der Kolyma.

Jelena Markowa
Also, wie wir ins Bergwerk zogen. Man trieb uns, nach dem Zählappell, nach dem Marsch usw., kamen wir zu einem gähnend schwarzen Schlund — das war der Grubeneingang. Also, Schacht Nr. 9, das war ein waagerechter Durchbruch. Und wir gingen im Dunkeln mit diesen…, mit Grubenlampen, bei denen das Licht so scheint, so undeutlich, nichts ausleuchtet, so ein flackerndes Licht. So sind wir über irgendwelche Stege hinabgestiegen, gestolpert, gefallen, bis wir zu unserer Strecke gelangten. Ich wurde zur Arbeit an der Förderstrecke eingeteilt.
Das ist jener Abschnitt, der zurückgelegt werden muss, um die Kohle vom Abbauort bis zu den Hunten auf der Förderstrecke zu schaffen. Und meine Aufgabe war es, diese Kohle wegzuschaufeln.
Also stehe ich – die Zwangsarbeiterin – mit der Schaufel an der Förderrinne und muss die Kohle schnell wegschaufeln. Aber ich war dieser Arbeit, besonders zu Anfang, nicht gewachsen. Und dort oben wurde die Kohle weiter herausgeschlagen. Und der Kohleberg wuchs und wuchs und wuchs. Und in diesem kleinen Abschnitt zwischen Abbau und Förderstrecke beginnt sich die Kohle zu stauen. Der Brigadier kam angerannt. Die Vorgesetzten, die Brigadiere, das waren bei uns Kriminelle.
Und er fing an, mich zu schlagen. Das also war mein erster – wie Sie sagen – Arbeitstag im Bergwerk.
Ich arbeitete an den Hunten. Wir kamen später aus dem Schacht Nr. 9 in den Schacht Nr. 2. Und dort, unter Tage, bekam ich eine neue Arbeit an den Hunten zugewiesen. Damals gab es noch keine Grubenpferde. Also, in den Jahren, die ich meine. Später gab es Pferde. Und anstelle der Pferde schoben die Zwangsarbeiterinnen die Kohlehunte die Strecke entlang. Und ich war eine von ihnen. Es gab sehr viele Unfälle.
Ständig kamen neue Gefangenentransporte, auch mit Frauen. Und mit einem dieser Transporte kam auch eine junge Frau, ca. 18 Jahre alt. Wir waren schon 20, 22, 23, und sie war noch ganz jung und sehr hübsch.
Am Anfang waren wir alle bezaubert: Was für eine schöne junge Frau! Und natürlich nicht nur wir, sondern auch die Männer. Doch sie konnten sich nicht einigen, wem sie gehören sollte, und so musste sie auch hinunter in den Schacht. Und was glauben Sie? Sie wurde auch für die Streckenförderung zugeteilt. Gleich am ersten Tag hatte sie einen Unfall, bei dem sie beide Beine verlor.

Michail Tamarin
Und so verschlug es mich in die Bersin-Goldmine, es gab eine Goldmine namens Bersin, es gab ein solches Schild „Bersin-Goldmine“, und dann, verstehen Sie, wurde sie in Werchni At-Urjach umbenannt, weil man Bersin verhaftet hatte. So war das, und in diesem Lager war ich genau fünf Jahre, genau fünf Jahre, hauptsächlich, wissen Sie, in der Nachtschicht, in der Nachtschicht in der Mine, wir haben den so genannten Torf herausgebrochen, der Torf, das ist die obere Schicht über der äh, äh, äh… der goldtragenden Schicht,
Die goldführende Schicht war immer im Wasser, weil der Dauerfrostboden aufgetaut wurde, deswegen standen wir beim Arbeiten immer im Wasser.
Und so haben wir dort immer nachts gearbeitet, wir mussten natürlich viel arbeiten. Die Schicht fing um fünf oder sechs Uhr morgens an und ging bis zum nächsten Morgen. Die Wachen haben sich abgewechselt, und wir blieben bis die Norm erfüllt war, bis dahin durfte niemand die Mine verlassen. Als Werkzeug bekam man nur eine Hacke, eine Schaufel, ein Brecheisen und einen Karren, das war’s, was wir an Werkzeugen hatten.
Also, transportiert wurde mit Schubkarren, in Loren geladen, die fuhren auf eine Gerüstbrücke hoch und von dort wurde alles in Eisenbahnwaggons geschüttet. Ich stand bei den Loren, machte die Annahme.
Und einmal verwickelte sich das Seil, erfasste meine Wattejacke, und ich blieb am Seil hängen. Das Seil läuft, noch 5 Minuten, und ich wäre ich dort gestorben. Aber zum Glück, wissen Sie, fand sich jemand, der zum Schalter rannte und die Förderanlage stoppte.
Aber das Interessanteste war, es kam ein junger Mann, dem hatte man ein Bein amputiert. Er hatte in einer Brigade im Winter gearbeitet. Und während der Arbeit löste sich ein Felsbrocken und klemmte sein Bein ein. Klemmte es so ein, dass 20 Mann mit Brecheisen nichts ausrichten konnten. Man schickte nach Tokmakow, der amputierte ihm noch vor Ort das Bein. Und ohne Bein wurde er auf die Krankenstation gebracht.
Das ist die Qual der Qualen, das ist unvorstellbar! Wenn man um 7 Uhr in die Mine getrieben wird und bis mindestens 7 Uhr morgens dort bleibt. Nachtarbeit, Kälte, die Wachleute machen Feuer und wärmen sich. Und rufen so einen Dummen wie mich, damit ich ihnen Zweige oder so was für das Feuer bringe, und dann wieder an die Arbeit!

Witautas Kasjulenis
Und dann wurden wir noch etwa 400 Kilometer bis zu den Goldminen gebracht. Im Bezirk Jagodnoje, Siedlung Stan Utiny. Und diese Grube hieß die „Kalte Grube“. Das Lager dort hieß „Kaltes Lager“, und kalt war es dort, kalt. Es war von Bergkuppen umgeben, und man sah dort fast nie die Sonne. Ringsum Bergkuppen, und wir fühlten uns wie in einem Grab.
Ich ging in das Bergwerk. ‚Mein Gott!‘, denke ich, ‚was soll ich mit diesem Gold? Verflucht soll es sein, dieses Gold!‘ Ist man einmal dort unten, kommt man nicht wieder heraus. Hohlräume gibt es dort, mal läuft man aufrecht, mal auf allen Vieren. Es gibt verschiedene Sohlen und dort fahren Loren.
Dort gibt es weißen Stein, weißen. Also nehme ich diesen weißen Stein, und er glänzt in der Sonne. Ich sage: „Sieh, ein Goldstück!“. Aber ein älterer Bergmann sagt: „Nein, das ist Pyrit.“ Er hat auch so einen gelblichen Glanz.
Die tiefste Stelle war 300 Meter unter der Erde, die allerletzte Sohle. Dann geht es nach oben.
Und das Aufbereitungswerk mit seinen Kugelmühlen. Riesige Kugelmühlen. Das Gestein wird hineingeschüttet, gedreht und von Kugeln zu Staub zermahlen. Dann kommt der Staub auf ein Förderband und wird ausgewaschen.
In unserem Bergwerk wurden in einer Schicht bis zu 30 Kilogramm erzeugt. Also eine Schicht im Aufbereitungswerk.
Es gab solche Gerüchte, dass, wenn jemand versuchte, etwas mitgehen zu lassen, wurde er auf ein Gerät gestellt. Wurde Gold gefunden, wurde man erschossen. Ob es wirklich so war, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass einige Gold mitgehen ließen.

Juri Fidelgolz
Es wurde ein Gefangenentransport nach Ust-Nera, Siedlung Aljaskitowy zusammengestellt. Dort war ein Bergbaukombinat, das eine Wolframerzmine ausbeutete. Ich wurde dorthin geschickt. Ich musste nicht in der Mine arbeiten, weil ich schlecht sah und schwach war. So wurde ich vom oberen ins untere Lager geschickt, wo sich eine Fabrik zur Erzanreicherung befand.
Dort floss ständig Wasser, alles war feucht. Man wurde ganz durchnässt, was im Winter besonders unangenehm war. Sehr oft wurden wir in feuchter Kleidung hinaus in den Frost geschickt, um den Abfluss freizuschlagen. Auf der Halde war ein spezieller Trichter mit einer Rinne, die dort endete.
Und wir wurden bis zu den Knien mit Sand zugeschüttet, wo wir festfroren. Wir waren gefangen im Eis, da der Frost uns im Eis einschloss. Später wurden wir mit dem Brecheisen befreit und gingen in den Trockenraum um uns aufzuwärmen. Wie vom Panzer einer Ritterrüstung fielen die Eisstücke in dicken Krusten von unseren Beinen ab.
Wir gruben im Sand und konnten jederzeit von diesem Sand verschüttet werden. Und wir hoben ziemlich tiefe Gruben mit einer Tiefe von 3-4 Metern aus. Und dann sollte mit dem Eimerchen noch vom Boden dieses taube Gestein geborgen werden. Und häufig war es so, dass die Wände nicht abgestützt waren, der Sand an den Seiten nicht hielt, taute und uns kopfüber unter sich begrub. Dann grub man nach dem Verschütteten, aber manchmal war es schon zu spät und der Verschüttete war nicht mehr zu retten. Niemand übernahm dafür die Verantwortung.
Einmal wurde auch ich verschüttet und verlor das Bewusstsein. Ein Turkmene grub mich wieder aus. Gott sei Dank war ich nicht zu tief verschüttet und die Grube war auch nicht besonders tief, nur 2,50 Meter. So wurde ich schnell gerettet, sonst wäre ich erstickt.
Angeblich gab es Haftverkürzung bei guter Arbeit. Und wir alle haben in dem Aufbereitungswerk den Plan mit 120-130% übererfüllt. Und das hätte man auf unser Strafmaß anrechnen müssen. Aber ich bin niemanden begegnet, dem die Planübererfüllung auf die Haftzeit angerechnet und der vorfristig aus dem Lager, unserem Uferlager für politische Gefangene, entlassen wurde, niemanden.
Entlassen wurde ich, als ich schon krank war. Ich erkrankte dort an Tuberkulose und hatte blutigen Auswurf.

Algerdas Untanas
In Magadan kamen wir also in die Goldmine „Kalte Grube“.
Einen ulkigen Letten gab‘s, dessen Name mir entfallen ist.
Er packte mich am Hals und führte mich: „Pass auf, dass du die Steine nicht umsonst herausschlägst. Wo es schon eine Schicht wie Glas gibt, kein Stein, sondern Kristall, wie Glas, dort suchst du das Gold.“ Also begann ich dort zu suchen und wurde auch fündig.
A.K. Und gab es Normen wie viel Gold in einer Schicht gefördert werden mussten?
A.U. Ach, die Norm. Früher gab es für die Lagerstätte eine Norm. Entweder waren es 16 oder 20 Gramm. Ich weiß nicht mehr wie viel. Ich habe die Norm erfüllt. In der Lagerstätte wurde Sand gesiebt, mit Wasser aufgeschlämmt und dann das Gold eingesammelt. Waren es 20 Gramm…, ich weiß es nicht, aber es gab eine Norm. Hatte man eine gute Ader gefunden, konnte man eine Drei-Tages-Norm liefern und sich dann ausruhen. Das hat sich dann nicht mehr für sie gerechnet.
Nun, wir wurden ein wenig übermütig: „Gütige Mutter! Ich soll die Sowjetmacht stärken?!“ Ich ging in den abgebauten Steinbruch und warf es weg. Vielen hab ich gesagt: „Wenn ich pissen war oder so…, dort warfen wir das Gold in rauen Mengen weg!“ Oder auf dem Abort … Also, wenn man ins Lager kam und uns eine Handvoll mitbrachte, gingen wir auf den Abort und warfen es dort weg. Wir und die Sowjetmacht stärken …?! So war das.

Jelena-Lidija Posnik
Wir fuhren entlang der Tenka-Trasse. Tenka.
Ust-Omtschug. Endstation Butugytschag.
Dort gibt es Uran. Und dort war ein Männerlager. Als wir ankamen, gab es keine Bäume, keine Vögel. Nackte Felsen. Nun, nackt, können Sie sich das vorstellen? Und keine Sonne. Weil die Sonne hinter den Bergen war. Hier ein Flüsschen, dort etwas Vegetation, ein paar Sträucher … Aber wir mussten hochklettern, insgesamt zwei Kilometer … nach oben.
Wir liefen kräftig, keine Luft zum Atmen. Berge. Kein Essen, kein Trinken. Zwei Wochen haben wir nichts gegessen. Die Fässer waren voll mit Stör. Wir haben ihn nicht gegessen. Wir konnten nicht.
Also ließ man uns zwei Wochen in Ruhe. Denn zur Mittagszeit legten wir uns in die Kantine und gingen erst später zurück. Und dann kam ich zu den allgemeinen Arbeiten. Worum es sich dabei handelt? Es hieß dort Kassiterit. Und jetzt wird es, soweit ich weiß, Uranit genannt. Das ist so ein schwarzes Gestein, sehr schwarz.
Das war radioaktive Strahlung. So ein kleiner Sack waren 50 Kilogramm.
Wir bekamen eine Kiste, die ungefähr so groß war. Und wenn unten gesprengt wurde, wurde der Sand in die Kiste geschüttet. Dann schulterte man die Kiste, und woanders wurde sie geöffnet, um den Sand auszuschütten. Und beim Auskippen flog er dorthin … in die zweite Sohle. Insgesamt gab es fünf Sohlen.
Kurz gesagt: bis man zur Stelle kam, wo alles ausgekippt wurde … Wie viel ging verloren! Wie viel ging kaputt! Solche Steinbrocken! Aber ich hatte keine Angst. Wenn ich fiel, nun ja. Ich dachte daran, wie meine Mutter leiden würde. Es tat mir nur leid um meine Mutter.

Michail Tamarin
Dort wurde man nicht gesiezt, für sie waren wir keine Menschen. Das war das Schlimmste, das war tödlich, das war schrecklich. Als ich nicht mehr in der Badestube arbeiten durfte und wieder in die Brigade kam. In diese Brigade unter Bewachung, hören Sie, und wir mussten wieder in die Mine. Das war natürlich schrecklich. Und ich weiß, ein Bekannter starb in dieser Brigade, ja, und dann noch einer. Wissen Sie, ich habe den Tod überlebt, ich hatte solches Glück.

Drehbuch:
Aljona Koslowa (MEMORIAL Moskau)
Irina Ostrowskaja (MEMORIAL Moskau)

Kamera:
Andrei Kupawski (Moskau)
Wiktor Griberman (Riga)

Schnitt:
Sebastian Prieß (MEMORIAL Berlin)
Jörg Sander (SanderWebsites, Berlin)

Übersetzung / Untertitelung:
Irina Raschendörfer (MEMORIAL Berlin)

© MEMORIAL International 2012

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