Drehbuch: Juri Fidelgolz erinnert sich:
Mein Leben im Lager

Juri Lwowitsch Fidelgolz wurde 1948 verhaftet und der Bildung einer antisowjetischen Organisation beschuldigt. Er wurde zu 10 Jahren Besserungsarbeitslager verurteilt, die er in den Sonderlagern von Taischet und Kolyma verbrachte. Aus gesundheitlichen Gründen wurde er 1954 entlassen.

Auf Transport

Nachdem die Untersuchung beendet war, sagte der Untersuchungsführer: „Ihre Situation ist aussichtslos. Aber bedenken Sie, dass sie unbedingt zurückkehren müssen. Das Lager soll Sie nicht schrecken, denn Sie werden dort arbeiten, Kopf hoch!“

Endlich kam ich auf Transport.

Mein Waggon befand sich irgendwo am Rande Moskaus. Mit dem schwarzen Gefangenenauto wurde ich zum Zug gebracht und in einen Gefangenenwaggon gesetzt, der vom restlichen Zug abgehängt war. Danach wurde er an den Zug gehängt, aber die Fenster im Gefangenenwaggon waren vergittert und man konnte nichts sehen.

Als sich der Zug Swerdlowsk näherte, sah ich im Nebel unzählige Wachtürme, Zäune, Zäune, Zäune und Türme, Türme, Türme. Ein riesiges Gebiet. Und ich dachte: ‚Was ist das?’ In meiner Unwissenheit nahm ich an, es würde sich um ein geheimes militärisches Unternehmen handeln. Und als ich das mit meinen Weggefährten mitteilte, befand sich unter ihnen auch ein Ehemaliger, der sagte: „Dummkopf, das sind doch Lager. Bei Swerdlowsk sind enorm viele Lager, eine Lagerzone an der anderen“, erklärte er mir. Und da dachte ich: ‚Grundgüter, sind es in unserem Land wirklich so große Gebiete mit Wachtürmen und Stacheldraht besetzt, für das Volk!’ Dann wurden wir in Swerdlowsk in ein Übergangslager gebracht.

Von dort wurden wir verjagt, in eine Art Planwagen gesetzt und an den Stadtrand von Swerdlowsk verbracht. Dort wurde der Gefangenentransport zusammengestellt und in Güterwaggons verladen. In der Mitte des Güterwaggons befand sich ein Ofen, Brennholz gab es auch und Pritschen auf beiden Seiten des Waggons. Jeder suchte sich seinen Platz, wir wurden eingeteilt und weiter ging es in diesen Güterzüge, das war der Gefangenentransport.
Im Waggon befanden sich ca. 30 bis 40 Personen. Zu essen gab es meistens Hering und Haferbrei, aus einem Kübel geschöpft, und heißes Wasser. Dann gab es noch ein paar Zuckerstücke, daran erinnere ich mich.

Die Begleitmannschaften waren gnadenlos und überzeugt davon, dass hier Faschisten fuhren. Wir wurden Faschisten genannt, und die gewöhnlichen Strafgefangenen nannten uns auch Faschisten. Dort fahren die Faschisten. Egal ob du Trotzkist, Bucharin- oder Wlassow-Anhänger oder sonst wer bist. Einfach Faschist. Alle mit antisowjetischer Einstellung waren Faschisten.

Das Seelager im Gebiet Irkutsk

Wir wurden an der Eisenbahnlinie Taischet-Bratsk abgesetzt. Es war Winter und wir landeten aus dem Waggon direkt in einer Schneewehe. Das Lager war bereits bewohnt, es war alt und heruntergekommen. Es war damals von japanischen Kriegsgefangenen gebaut worden, und zum Bau hatte man Ausschuss verwendet. Keine echten Holzbalken sondern Überbleibsel von Brettern, zusammengezimmerte Baracken mit Fugen, die fast handbreit waren. Und wenn wir morgens aufwachten, hatten einige…
Ich behielt zum Beispiel beim Schlafen in der Baracke die Mütze mit Ohrenklappen auf, damit der Kopf nicht fror, da es durch die Ritzen in den Wänden zog. Und wenn ich manchmal aufwachte, war meine Mütze an die Ritze angeeist und ich konnte sie nicht loseisen. Dann befreite ich zunächst meinen Kopf aus der Mütze und danach zog ich an der Mütze.

Meine Kleidung war abgetragen und schon durch viele Hände gegangen, Flicken an Flicken, dreckig waren die Hemden, Wattejacken und Mäntel. Es war unerträglich. An den Füßen trugen wir Gummireifen aus dem Tscheljabinsker Traktorenwerk, die in die Füße schnitten. Aus mir wurde ein wandelndes Vieh.

Wir bekamen Nummern und man sagte uns: „Ihr seid nicht im Lager für gewöhnliche Kriminelle, ihr seid Verurteilte nach Artikel 58. Das ist das Seelager, ein geschlossenes Sonderlager. Ihr werdet Nummern und ausschließlich Häftlingskleidung tragen. Wer gegen die Regeln verstößt und Zivil trägt, muss in die Baracke mit verschärften Haftbedingungen oder in den Karzer. Sogar eine Verurteilung nach Artikel 58-14, Sabotage, konnten sie einem andichten.

Ich wurde Lanskoi zum Ausbessern der Gleise zugewiesen. Dort musste man alles tun: Ich trug höllisch schwere Eisenbahnschwellen und Gleise, verlegte Rasen auf dem Bahndamm. Die Arbeit war sehr schwer, nicht weil die schwierig war sondern weil das Arbeitspensum gewaltig war. Die Norm für einige Stunden war weder in zwei noch in drei Tagen zu bewältigen.

Das Uferlager an der Kolyma

Man schickte uns in einer Gruppe aus 30-40 Gefangenen unter Bewachung in die Tiefen von Kolyma. Ca. 600 km von Magadan befand sich ein riesiges Lager. Dort wurde ein Kraftwerk gebaut, Erde ausgehoben, Baumstümpfe gerodet und in Flussnähe gebohrt. Ich weiß nicht wofür. Vielleicht sollte ein Damm gebaut werden. Aber Fakt ist, dass ich von Hand bohren musste. Nun stellen Sie sich vor, wie man bei minus 50 Grad in mit einem Handbohrer in der Erde stochert. Die Tagesnorm betrug 10 Bohrlöcher von mindestens 60-70 cm Tiefe. Nun, im Permafrostgebiet ist das eine schreckliche Sache.

Also, ich war zu nichts nütze und so wurde ich weiter auf Transport geschickt. Im Lager D2 wurde der Transport nach Ust-Nera, Siedlung Aliskitowy zusammengestellt. Dort war ein Bergbaukombinat, das eine Wolframerzmine ausbeutete. Ich wurde dorthin geschickt. Ich musste nicht in der Mine arbeiten, weil ich schlecht sah und schwach war. So wurde ich vom oberen ins untere Lager geschickt, wo sich eine Fabrik zur Erzanreicherung befand.

Dort floss ständig Wasser, alles war feucht. Man wurde ganz durchnässt, was im Winter besonders unangenehm war. Sehr oft wurden wir in feuchter Kleidung hinaus in den Frost geschickt. Auf der Halde war ein spezieller Trichter mit einer Rinne.

Wir mussten Öffnungen in die Rinne schlagen, aus der das Erz kam. Das war kein Erz, sondern Abfall für die Halde. Das taten wir. Und wir wurden bis zu den Knien mit Sand zugeschüttet, wo wir festfroren. Wir waren gefangen im Eis, da der Frost uns im Eis einschloss. Später wurden wir mit der Brechstange befreit und gingen in den Trockenraum um uns aufzuwärmen. Wie von einem Panzer fielen die Eisstücke in dicken Krusten von uns ab.

Im Sommer war es auch es auch bitter, weil die Halde, dieses taube Gestein, auf Erze und Erzreste untersucht wurde. Wir mussten Gruben ausheben. Und vom Grunde der Grube mussten wir wie aus einem Brunnen mit einem Eimer Proben nehmen und nach oben bringen. Natürlich gab es auf dieser Halde keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Wir gruben im Sand und konnten jederzeit von diesem Sand verschüttet werden. Und wir hoben ziemlich tiefe Gruben mit einer Tiefe von 3-4 Metern aus. Und dann sollte mit dem Eimerchen noch vom Boden dieses taube Gestein geborgen werden. Und häufig war es so, dass die Wände nicht abgestützt waren, der Sand an den Seiten nicht hielt, taute und uns kopfüber unter sich begrub. Dann grub man nach dem Verschütteten, aber manchmal war es schon zu spät und der Verschüttete war nicht mehr zu retten. Niemand übernahm dafür die Verantwortung.

Einmal wurde auch ich verschüttet und verlor das Bewusstsein. Ein Turkmene grub mich wieder aus. Gott sei Dank war ich nicht zu tief verschüttet und die Grube war auch nicht besonders tief, nur 2,50 Meter. So wurde ich schnell gerettet, sonst wäre ich erstickt.

Die Invalidenbrigade

Ich wurde jedoch aus der Arbeits- in die Invalidenbrigade und -baracke überführt. Dort wurden jeden Tag die Toten neben mir mit Haken entfernt und ich harrte ruhig meines Schicksals und wünschte mir, Gott möge mir noch ein wenig Zeit geben, damit ich liegen und mich von dieser unerträglichen Arbeit erholen könnte. Plötzlich teilte man mir mit: „Fidelgolz zum Ausgang“. Und ich wurde krank entlassen und im Auto nach Ust-Nera gebracht, wo der medizinische Ausschuss über mich befand.

Und als ich fragte, was nun passieren würde, sagte man mir: „Warte nun, bis man dich in ein Invalidenheim auf dem Festland verlegt, dort wirst du deine letzten Tage verleben“.

Drehbuch:
Aljona Koslowa, Irina Ostrowskaja (MEMORIAL – Moskau)

Kamera:
Andrej Kupawski (Moskau)

Schnitt:
Sebastian Priess (MEMORIAL – Berlin)
Jörg Sander (Sander Websites – Berlin)

Übersetzung/Untertitelung:
Irina Raschendörfer (MEMORIAL – Berlin)

© MEMORIAL International 2011

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